Octavia E. Butlers Kindred (1979)

Octavia E. Butler gehört zu den Klassikern der Schwarzen Literatur, sie ist feministisch und avantgardistisch zugleich. Ihr Buch Kindred (1979) setzt sich mit der Sklaverei in einem Genre auseinander, das zunächst ungewöhnlich anmuten mag. Butler ist vor allem als Science-Fiction-Autorin bekannt, sie erhielt die drei bedeutenden Literaturpreise für Science-Fiction und Fantasy (den Locus Award, den Hugo Award und den Nebula Award) und wurde als erste Autorin in diesem Genre auch mit dem prestigeträchtigen Mac Arthur Fellowship ausgezeichnet. Die Autorin selbst weist darauf hin, dass es sich im Unterschied zu ihren anderen Werken bei Kindred trotz der Zeitreisen nicht um Science fiction handelt (es fehle hier die science). Ihr Werk wurde u.a. im Kontext des Afrofuturismus, der Cyborg-Theorie (Donna Harraway 1985) und des Konzepts des Black Atlantic (Paul Gilroy 1993) rezipiert.

Dass Zeitreisen und das Science-Fiction-Genre sich durchaus für historisch brisante Themen eignen, hat auch Kurt Vonnegut mit Slaughterhouse Five (1969) gezeigt, wo Reisen auf den Planeten Tralfamador Teil der Auseinandersetzung mit den Luftangriffen auf Dresden im Zweiten Weltkrieg sind. Gerade für marginalisierte, diskriminierte und von Rassismus betroffene Personen und Gruppen bieten literarische Genre-Texte, die Popkultur im Allgemeinen und künstlerisch-politische Bewegungen wie der Afrofuturismus jedoch eine besonders vielversprechende Anschlussstelle – sie repräsentieren nicht nur die aus den dominierenden Diskursen ausgeschlossenen gesellschaftlichen Randpositionen, sondern ermöglichen darüber hinaus auch eine breitere Rezeption und Debatte als die durch verschiedene Gate-Keeping-Mechanismen eher in sich abgeschlossenen akademischen Diskurse. 

Octavia Butlers Kindred handelt von der sich gerade etablierenden Schriftstellerin Dana. Diese hält sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs über Wasser, wie auch ihr Partner Kevin, den sie bei einem der Jobs kennenlernt. Auch Kevin ist Schriftsteller. Der Anfang des Textes führt die Leser:innen zunächst auf eine falsche Fährte: Dana hat auf ihrer letzten Zeitreise einen Arm verloren und muss nun im Krankenhaus die Polizei davon überzeugen, dass Kevin nicht die Verantwortung dafür trägt. Was zunächst danach aussieht, als wäre es eine Szene, in der häusliche Gewalt verschwiegen wird, hat einen ganz anderen Hintergrund.

Dana, die im Jahr 1976 lebt, wird durch Zeitreisen immer wieder auf eine Plantage in Maryland zu Beginn des 19. Jahrhunderts versetzt. Sie weiß, dass ihre Großmutter Hagar 1831 dort geboren ist. Dana wird zu verschiedenen Zeitpunkten in die Vergangenheit geholt, um Rufus – den Sohn eines Plantagenbesitzers – seit seiner Kindheit vor Gefahren zu beschützen. Von Anfang an ist sie selbst in Gefahr, da sie zu dieser Zeit auch selbst als Sklavin wahrgenommen wird. Sie lernt dort Alice und andere Sklav:innen kennen. Alice sieht ihr sehr ähnlich. Dana erkennt in ihr eine Verwandte und schon bald wird ihr bewusst, dass sie die Zeitreisen unternimmt, um ihren Vorfahr:innen und damit auch sich selbst das Leben zu retten. Immer wieder sind ihr Leben und das Leben ihrer noch ungeborenen Großmutter Hagar in Gefahr. Wenn Dana selbst in Lebensgefahr gerät, reist sie wieder zurück in das Kalifornien der 1970er Jahre.

Mit den Zeitreisen schafft Octavia Butlers Roman eine andere Leseerfahrung als es etwa historische Romane tun, auch von Erinnerungstexten unterscheidet sie sich. Die Erfahrung der Sklaverei, das Leben im Körper einer zur Sklavin degradierten Frau, sind für Dana nicht bloße Vergangenheit, sie sind auch kein Projekt der Rekonstruktion oder Imagination. Dana wird innerhalb der fiktiven Handlung direkt aus der Gegenwart in das Leben im 19. Jahrhundert zurückversetzt – das ruft einen gewissen Realitätseffekt hervor:

I had seen people beaten on television and in the movies. I had seen the too-red blood substitute streaked across their backs and heard their well-rehearsed screams. But I hadn’t lain nearby and smelled their sweat or heard them pleading and praying, shamed before their families and themselves. I was probably less prepared for the reality than the child crying not far from me. In fact, she and I were reacting very much alike. My face too was wet with tears.

Octavia Butler: Kindred

In dieser Textstelle wird deutlich, dass die Darstellung von Gewalt in Film und Fernsehen nicht nur nicht genügt, um zu wissen, wie es ist, sie zu erleben, sondern dass die Beschäftigung damit und die Kenntnis davon, nicht im Geringsten darauf vorbereitet, sie zu erleben und damit auf emotionaler Ebene umzugehen. Durch diese Rahmung wird der Anspruch an Fiktion, die Realität von Gewalterfahrungen vermitteln zu können, direkt zu Beginn zurückgewiesen. Obwohl Dana durch die Zeitreise die Gewalt unmittelbar erlebt, verweigert sich Butlers Roman einer Deutung, die suggeriert, ein Werk der Fiktion oder eine andere Art von medialer Darstellung könne die Sklaverei erfahrbar machen. Mit dem Mittel der Zeitreise macht Butler deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Geschichte diese weder verändern kann, noch darauf vorbereit, mit Gewalt umzugehen. Butler stellt die Frage, was passiert, wenn jemand mit dem Wissen der Gegenwart in die Vergangenheit reist – diese rein hypothetische Frage lässt sich besonders gut im gewählten Genre stellen.   

Der Text imaginiert, wie die Realität für Dana als Schwarze Frau ganz konkret aussehen könnte, wenn sie zu Zeiten der Sklaverei leben würde. In der Vergangenheit kann Dana jederzeit von weißen Patrouillen aufgegriffen werden, sie wird als Besitz anderer Menschen betrachtet und ist Bestrafungen und absoluter Willkür ausgesetzt. Die Unterschiede zur Gegenwart werden klar benannt: „I was working out of a casual labor agency – we regulars called it a slave market. Actually, it was just the opposite of slavery.“ Dana erkennt gleichzeitig, wie leicht die Sklaverei normalisiert wurde („I never realized how easily people could be trained to accept slavery.“) und wie groß die Bereitschaft war, für Geld und Macht andere Menschen zu dehumanisieren. Butlers Kritik ist intersektional, sie thematisiert die Verschränkung zwischen Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus – und zwar auf unheimlich präzise und gleichzeitig subtile Art und Weise.

Als sich Dana mit den anderen Sklav:innen auf der Plantage anfreundet, erfährt sie von Sarah, dass Mr. Weylin Sarahs Kinder verkauft hat. Als sie nach dem Grund fragt, bekommt sie folgende Antwort:

‚She wanted new furniture, new china dishes, fancy things you see in that house now. What she had was good enough for Miss Hannah, and Miss Hannah was a real lady. Quality. But it wasn’t good enough for white-trash Margaret. So she made Marse Tom sell my three boys to get money to buy things she didn’t even need!‘ ‚Oh.‘ I couldn’t think of anything else to say.

Octavia Butler: Kindred

Die Verschränkungen zwischen Rassismus und Patriarchat zeigen sich auch darin, wie Rufus mit den beiden Schwarzen Frauen Alice und Dana umgeht. Während Alice seine große Liebe war, bevor sie sich in einen anderen Mann verliebte, wird Dana zu seiner Freundin. Beiden Frauen zwingt er seine Liebe bzw. Freundschaft auf und verlangt absolute Loyalität und Unterwerfung. Wenn sie nicht tun, was er will, fordert er es durch Gewalt ein und schreckt weder vor körperlicher Bestrafung noch vor Vergewaltigung zurück.

Gerade die Situation von Dana als Frau bildet in Bezug auf die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen einen beängstigenden Echoraum in der Gegenwart: Die Erfahrung, als Frau kein Recht auf den eigenen Körper zu haben und von intellektueller Teilhabe ausgeschlossen zu sein, klingen in Vorstellungen über die Ehe oder über Danas Möglichkeiten als weibliche Autorin wieder. Besonders aufschlussreich sind die Passagen, die vom Schreiben handeln. Darin zeigt sich, wie subtil es Butler gelingt, bestimmte Situationen in ihrer Parallelität und gleichzeitigen Unterschiedlichkeit herauszuarbeiten und dahinter eine Leerstelle aufscheinen zu lassen: die der Schwarzen schreibenden Frau.

Sowohl Dana als auch ihr Partner und späterer Ehemann Kevin sind Schriftsteller:innen. Kevin wird später so erfolgreich, dass sie sich von seinem Geld ein Haus kaufen können. Die Heirat zwischen den beiden wird zur Prüfung auf zweierlei Art und Weise: Einerseits erfahren sie keine Unterstützung von ihren Familien (Kevins Schwester ist aus rassistischen Gründen gegen eine Heirat mit einer Schwarzen Frau, aber auch Danas Onkel ist gegen die Heirat mit Kevin). Fast beiläufig ergibt sich direkt nach dem Heiratsantrag ein aufschlussreicher Dialog zwischen Dana und Kevin.  

Durch die geplante Hochzeit schwebt Kevin vor, dass sie sich nun – als zukünftige Ehefrau – um seine Manuskripte kümmern könnte. Auf der Gegenwartsebene wehrt Dana sich dagegen, zu Kevins Sekretärin degradiert zu werden. In der Vergangenheitsebene bleibt ihr nichts anderes übrig, als Kevin als ihren „Master“ auszugeben und dem Wunsch von Rufus nachzukommen, Briefe für ihn zu schreiben. Sie macht dennoch beiden Männern deutlich, dass dies genau die Art von Tätigkeit ist, die sie ihr Leben lang vermeiden wollte. Die Dynamik zwischen der Schwarzen Frau und den beiden weißen Männern geht über Rassismuskritik hinaus, sie sollte auch als Kritik am Patriarchat gelesen werden. Das Buch zeigt auf, dass diese Dynamik im Patriarchat wurzelt, welches eben nicht auf weiße Männer beschränkt ist.

Dies wird deutlich, wenn der Roman mit Blick auf seine Entstehungszeit in den 70er Jahren gelesen wird und die Lage Schwarzer (scheibender) Frauen zu dieser Zeit betrachtet wird. Philip Miletic arbeitet in seinem Aufsatz „Octavia E. Butler’s Response to Black Arts/Black Power Literature and Rhetoric in ‚Kindred‘“ die dafür relevanten Kontexte detailliert heraus. So wird auch in der Black Power Bewegung Frauen nur eine sekundäre, unterstützende Rolle zugewiesen – im Zentrum stand die Vorstellung dominanter Männlichkeit (vgl. dazu Miletic, 270f.). Damit übt Butler – indirekt – auch Kritik an der Lage Schwarzer Frauen innerhalb von Schwarzen Bewegungen.

Vor diesem Hintergrund wird die Rolle von Dana, die in den 70er Jahren daran arbeitet, Schriftstellerin zu werden, besonders brisant. Interessant ist, wie wenig Butler daran liegt, das Schreiben selbst zu überfrachten und etwa als Medium der Vergangenheitsbewältigung oder der Selbsterkenntnis zu stilisieren. Dana muss darum kämpfen, nicht auf die Rolle der Sekretärin reduziert zu werden, die ihr von dem männlich dominierten Umfeld immer wieder zugewiesen wird, und sich selbst einen Raum zu schaffen, in dem sie kreativ tätig sein kann.

Dana kann die Zeitreisen nicht selbst kontrollieren, sie stellt jedoch fest, dass sie immer dann in die Gegenwartsebene zurückreist, wenn sie so stark gefährdet ist, dass ihr der Tod droht. Dadurch gewinnt der Text an unglaublicher Schärfe in Situationen, in denen sie sich zwar fühlt, als wäre sie kurz davor zu sterben, aber in denen sie trotz Schmerz und Verzweiflung doch noch weit davon entfernt ist. Dana fragt sich immer wieder, wann der Moment gekommen ist, um durchzudrehen, verrückt zu werden, wegzulaufen oder um sich zu wehren, etwas zu entgegnen, bereit zu sein, zu töten. Dies kann sie allerdings nicht tun, wenn sie nicht bereit ist, im Zweifel auch ihre eigene Geburt zu verhindern – sie muss sich wiederholt zwischen der Komplizenschaft mit Rufus und ihrem eigenen Leben entscheiden. Die breite Literatur zu Butlers Kindred lädt dazu ein, sich mit verschiedenen Interpretationen von Kindred auseinanderzusetzen. Das Buch wieder und wieder zu lesen, lohnt sich auf jeden Fall. 

Butler, Octavia E.: Kindred, London: Headline 2018 (1979).

Gilroy, Paul: The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness. Cambridge, MA: Harvard University Press 1993.

Haraway, Donna: Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980’s. In: Socialist Review 80. 1985.

Miletic, Philip: Octavia E. Butler’s Response to Black Arts/Black Power Literature and Rhetoric in ‘Kindred.” In: African American Review, vol. 49, no. 3, 2016, pp. 261–75.

Vonnegut, Kurt: Slaughterhouse-Five, or, The Children’s Crusade: A Duty-Dance with Death. New York, NY: Delacorte 1969.

Womack, Y. L.: Afrofuturism: The world of black sci-fi and fantasy culture. Chicago Review Press 2013.

„Das Unterfutter meines Dichterdaseins“ – Die Anthologie Brotjobs & Literatur

In Brotjobs & Literatur, herausgegeben von Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel, erschienen 2021 beim Verbrecherverlag, erzählen 19 Autor:innen davon, ob und wie man vom bzw. mit dem Schreiben leben kann. Die Texte nähern sich dem Thema ganz unterschiedlich – von eher pragmatischen Beschreibungen der eigenen Arbeits- und Schreibbiografie bis zu literarisch durchgearbeiteten Essays. Sie erzählen nicht nur von verschiedenen Jobs und Berufen, vom Geldverdienen, von Karrieren und vom Schreiben, sondern auch von den Wechselverhältnissen zwischen Erwerbsarbeit und Schriftstellerei. Einerseits entlarvt der Band die Vorstellung, die beiden Bereiche ließen sich nicht voneinander trennen – und damit auch die Ansicht, ein Leben als Autor:in sei nur freischaffend und als etablierte Persönlichkeit im Kulturbetrieb möglich – als elitär und klassistisch; andererseits zeigt er auf, wie die Sphären des Geldverdienens und des Schreiben einander dann doch beeinflussen. 

Die alphabetische Anordnung der Autor:innen ist gut gewählt, da dadurch eindeutige Einordnungen und Kategorisierungen vermieden werden. Es gibt nicht die eine Erzählung der Abeiter:innen(kinder) im Literaturbetrieb und die andere der Etablierten. Vielmehr schält der Band durch die zufällige Aneinanderreihung der Beiträge heraus, dass die Trennungslinien zwischen den Autor:innen, die klassistischen, rassistischen und sexistischen strukturellen Diskriminierungen ausgesetzt sind und denen, die einer weißen, gut betuchten, gebildeten und vernetzten Schicht angehören, manchmal sichtbar werden, oft aber auch unsichtbar bleiben. Schriftsteller:innen, so wird klar, arbeiten nebenbei in einfachen Dienstleistungsjobs oder sie bauen sich Doppelkarrieren auf; manche finden es gut, dass sie nicht nur schreiben (müssen), andere belastet das; nicht zuletzt zahlt sich das angehäufte symbolische Kapital (durch Preise, Residenzen, Anfragen usw.) nicht unbedingt finanziell aus, oft erfordert es auch einen hohen Preis, den einmal erlangten Status auch dauerhaft zu halten. Klar wird durch alle Erzählungen hindurch, dass der Status von Autor:innen auch unabhängig von der Frage der Herkunft ein prekärer ist; dass Künstler:innen stets von Personen und Institutionen abhängig sind, wenn sie aus ihrem symbolischen Kapital auch einen finanziellen Gewinn machen wollen.   

Jobs und Karrieren neben dem Schreiben – zwischen Zwang und Autonomie

Philipp Böhm erzählt in »Das Jahr mit den Yachten« von einem Job, der eigentlich als Karriere ausgelegt ist und den Autor dazu zwingt, einen ganz bestimmten »Lifestyle jeden Tag aufs Neue zu reproduzieren« (21). Ein solcher Job eignet sich – so Böhm – nur bedingt als Broterwerbsjob, da er zwar Geld bringt, aber auch die Energie zieht, die für das Schreiben notwendig wäre. Am Abend ist die Arbeit an einem Roman nur noch in einer Bar und unter Alkoholeinfluss vorstellbar, was für eine begrenzte Dauer wohl machbar, als Dauerlösung aber nicht unbedingt praktikabel erscheint.

Als Kontrapunkt dazu lesen wir von Crauss:

»Zu Beginn meines Studiums stand also fest, dass alles, was ich je arbeiten würde, das Unterfutter meines Dichterdaseins bildet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.« (30)

Gleich von Anfang an scheint dem Dichter klar zu sein, dass Brotjobs & Literatur voneinander profitieren. Erstere geben letzterer »nicht nur Geld, sondern auch eine gewisse Regelmäßigkeit, sie strukturieren den Alltag, sie gliedern das Faulsein oder In-Schwung-Kommen.« (30). Bei Dominik Dobrowski, der sich bei der Ausübung seiner Jobs als Erntehelfer oder Kellner stets im Dialog mit Dichtern und Filmschaffenden befindet und auch den Weg zum Arbeitsamt gehen muss, findet sich das Bild des Lyrikers als Briefsortierer – »Routine ist das Zauberwort!« (41). Dinçer Güçyeter schreibt über das Staplerfahren und Verlegersein, Autonomie und Unabhängigkeit vom Kulturbetrieb erscheinen hier fast als eine Grundvoraussetzung von Kunst.  Am Beispiel einer Theaterproduktion beschreibt er die Arbeit in Kulturinstitutionen »als eine Art Prostitution« (64), der er das »Stapler fahren, Geschirrspülen, an der Drehmaschine stehen« (64) vorzieht.

Ulrich Koch beschreibt, wie er einerseits ein Unternehmen leitet und andererseits schreibt. Spannend ist seine Darstellung der Perspektiven und Vorteile dieser beiden Seiten und die Sicht auf die jeweils andere Sphäre:

»Aus der Perspektive der Literatur ist die Geschäftswelt sprachlos. Aus der Perspektive der Geschäftswelt ist die Literatur mittellos. Für beide Seiten ist die Schlussfolgerung, die sie daraus zieht, identisch: die eine Seite hält die andere für so bedeutungslos wie jene sie selbst.« (99)

Koch möchte sich gar nicht für eine Seite entscheiden und hat gelernt, die Widersprüche auszuhalten. Hier wird auch das Paradox sichtbar, dass die Gesellschaft mittellose Kulturschaffende eher legitimiert als solche, die neben einem Beruf, gar neben einer Karriere, auch schreiben.

Auch Thorsten Krämer möchte – wie er in »Lob der Teilzeitkunst« schreibt – nicht nur das Schreiben zum Beruf haben. Das Selbstbild vieler Künstler:innen, die sich zwar ebenfalls durch Jobs finanzieren, aber primär durch ihr Künstler:innensein definieren, lehnt er ab. Auch hier steht die Frage im Raum, ob nicht diejenigen, die vom Schreiben leben wollen, nicht einen größeren Aufwand mit ihrem Überleben im Kulturbetrieb betreiben, als Menschen, die einen Zweitberuf zum Geldverdienen haben.

Michael Schweßinger beschreibt seinen Brotjob als Bäcker. In diesem Text wird deutlich, dass es zwischen dem Backen und dem Schreiben durchaus Parallelen gibt – bei beidem kommt es zu einem großen Teil auf das Handwerk an. Vorteilhaft erscheint ihm auch, dass er mit seinem Beruf international mobil ist, dass er viele unterschiedliche Orte und Menschen kennenlernt und dass sein Werk auch von diesen Erfahrungen profitieren kann. Schweßinger hebt seine Autonomie hervor und betont: »Nie habe ich freiere unfreie Menschen getroffen als in den Gefilden der Literatur.« (17) Texte zu schreiben, weil er dafür bezahlt wird, löst »große[n] Widerwille[n]« (184) bei ihm aus.

Janna Steenfatt schildert ihren Weg als Schriftstellerin:

»Ich wollte immer eine von diesen Schriftsteller:innen sein, wie man sie in Filmen sieht, die in ihren Kammern hocken und nächtelang bei Kerzenschein ihre Romane schreiben, während sie tags der Art von Arbeit nachgehen, die ich […] als ‚McJob‚ bezeichne. Natürlich nur solange, bis ich es geschafft hätte.« (197)

Sie zeigt auf, dass es sich dann ganz anders als vorgestellt anfühlt, diese Jobs auch tatsächlich machen zu müssen. Besonders schwierig erscheint auch der Zwiespalt, der sich zwischen Preisverleihungen und Servicejob am nächsten Tag auftut. Als sich ihr eine Aufstiegsmöglichkeit bietet, lehnt sie ab, da sie »einen McJob wollte, keine Karriere« (205). Sie konzentriert sich auf ihren ersten Roman, der 2020 während der Corona-Pandemie erscheint, was zur Folge hat, dass es kaum Lesungen gibt und sie sich beim Arbeitsamt vorstellen muss.

Partnerschaft, Carearbeit, Familie

Johanna Hansen hatte, wie sie schreibt, einerseits den Drang zu Schreiben und andererseits den Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit. Bereits als Kind habe sie geschrieben, wollte dann Lehrerin werden, habe schließlich als Journalistin und Sprachlehrerin gearbeitet und dieser Zeit kaum noch geschrieben. Eine Krankheit und ein damit zusammenhängender Aufenthalt in der Schweiz führen dazu, dass sie zu malen und in Folge dessen auch wieder zu schreiben beginnt. In der Formulierung »Mein neuer Beruf brachte mir anfangs kein Geld ein. Das war mir egal« (76) zeigt sich gerade im Zusammenhang mit dem Arztberuf ihres Mannes, der innerhalb der Ehe für finanzielle Stabilität sorgt, ein weiterer Aspekt des Verhältnisses von Brotjobs & Literatur: die Möglichkeit des Schreibens aufgrund der finanziellen Unterstützung durch die Ehepartner:innen. 

Adrian Kasnitz, Kind »aus keinem wohlhabenden Haushalt« (84), vergleicht das Durchschnittseinkommen von Künstler:innen mit dem durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn aller Arbeitnehmer:innen und rechnet schließlich aus, dass ein:e Autor:in im Monat »dreizehn Lesungen à 300€« (83) geben müsste, um auf diesen Lohn zu kommen, und das nicht nur in der Zeit nach einem ersten erfolgreichen Buch, wo das vielleicht tatsächlich irgendwie möglich wäre, sondern jeden Monat lebenslang. Auch Kasnitz beschreibt die Abhängigkeit im Privaten:

»Eigentlich kann ich nur schreiben, weil ich verheiratet bin. Weil meine Frau das sichere Einkommen hat. Weil wir als Paar mit Kindern nicht ohne diese Sicherheit leben wollen. Hausmann sein bedeutet aber auch, auf einige Dinge zu verzichten, die Schriftsteller:innen tun können, um Geld zu verdienen und Anerkennung zu erhalten: sich um Aufenthaltsstipendien und Künstlerresidenzen zu bewerben, die immer weit weg und meistens in einem Kaff liegen. Als Elternteil kannst du aber nicht einfach weg sein […].« (87f.)

Sabine Schiffners ereignisreicher Lebensweg führt sie zunächst zum Theater, dann zu einem Leben als schreibende, alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Ihre Lebensstationen umfassen Umzüge, auch ins Ausland, wechselnde Partnerschaften und auch – so hört es sich an – Erfolge als Autor:in. Mutterschaft wird hier nicht als Problem beschrieben, sondern als Auslöser eines kreativen Schubs (158). Der Erfolg, der sich mit dem ersten Roman einstellt, ist aber – so wird in diesem Text deutlich – kaum zu halten, wenn das Leben nicht auf das Schreiben reduziert werden soll, sondern wenn es auch Raum für die Kinder und Partnerschaften geben soll.

Daniela Seel beschreibt den Mental Load von Eltern (insbesondere Müttern), der bei ihr einen so großen Raum einnimmt, dass er die Spannung zwischen Schreiben und Geldverdienen fast zu einer Nebensächlichkeit werden lässt (obwohl die Wörter »Altersarmut, Schlaflosigkeit, Panikanfälle, Schulden« [187] durchaus in ihrem Text auftauchen). Neben ihren eigenen Schreibprojekten führt sie den Verlag kookbooks, der bei Weitem keine finanziellen Vorteile bringt. Anfragen aller Art muss sie zumeist aus finanziellen Gründen annehmen und nach den gesetzten Fristen abarbeiten.

Juliane Ziese sieht die Elternschaft als ihren Brotjob und meint damit die zeitliche und mentale Belastung. Während ihre Festanstellungen, etwa die Arbeit als Untertitlerin von Filmen, durchaus einen produktiven Einfluss auf ihr Schreiben hatten und eben auch Geld einbrachten, so ist die Elternschaft nicht nur mit dem bereits von Daniela Seel thematisierten Mental Load verknüpft, sondern sie ist eben immer auch unbezahlt.

»Künstler:innen mit Kind(ern) müssen ihre kreativen Schaffensimpulse an den Alltag anpassen, der neben einem bloßen Brotjob zusätzlich aus der Organisation und der Care-Arbeit um die Familie besteht.« (226)

Gegen Klassismus und Rassismus

Stan Lafleur – aus einem Arbeiter:innenhaushalt kommend – fertigt zunächst eine Liste seiner Jobs an (solche Listen finden wir auch bei anderen Autor:innen in diesem Band). In seinem Beitrag wird Klassismus direkt angesprochen und thematisiert – er fragt:

»Welche Autorin, welcher Autor mit Arbeiterklassenhintergrund […] im nach Selbstähnlichkeit agierenden bürgerlichen Literaturbetrieb aufgrund ihrer/seiner Herkunft noch keine Diskriminierung erlebt oder vermutet?« (124)

Karosh Taha beschreibt nicht nur den Klassismus im Literaturbetrieb – und die Schwierigkeit, ohne Netzwerke und kulturelles sowie finanzielles Kapital dort Fuß zu fassen. Trotz der zunehmenden Diversität der Themen und Autor:innen, seien die Gatekeeper:innen immer noch die alten. Sie beschreibt die Trägheit des deutschen Diskurses über Literatur, der noch immer durch weiße, eurozentrische, bürgerliche Perspektiven geprägt ist, die sich in dem, was sie lesen, vor allem selbst gespiegelt sehen wollen: So gäbe es den impliziten Anspruch, dass auch in migrantischen Romanen weiße, europäische Personen vorkommen müssten; als Thema könne dann der Kulturkonflikt zwischen ihnen verhandelt werden (oder anders herum: dieser ist das, was die weiße Person überhaupt nur darin wahrnimmt). Ebenso häufig wird – das deutet Taha an – so getan, als behandelten alle nicht-weißen migrantischen Romane dasselbe Thema, nämlich ausschließlich Migration und Kulturkonflikt. 

Dennoch fühlt sich Taha nicht fehl am Platz:

»Ich fühle mich nicht wie ein Eindringling, ich bin nicht durch die Hintertür gekommen; ich weiß, ich kann schreiben, sonst gäbe es keinen Grund, dass ich hier bin: kein berühmter Nachname, kein berühmtes Elternteil, kein Erbe, keine Kontakte, kein Studium in Leipzig, Biel oder Hildesheim. Alles spricht gegen mich, alles spricht für mich.« (212)

Swantje Lichtenstein beschreibt ihren Weg aus dem akademischen Diskurs heraus, hin zur Kunst und dann wieder zurück zu einer künstlerischen Professur. In diesem Beitrag wird der Spagat zwischen wissenschaftlichem Diskurs und Literatur deutlich, thematisiert wird auch, wie Klassismus und Distinktion in der Wissenschaft (bzw. der bürgerlichen Gesellschaft) dem Bild von Literatur, das viele in diesem Band versammelten Autor:innen teilen, diametral entgegensteht. Lichtenstein schreibt:

»Die weiße westliche Überheblichkeit, dieser Glaube zu wissen und zwar mehr und besser und es ständig zu betonen, die versuchte ich mir nicht herauszunehmen. […] Die Kunst und Poesie sind etwas, und das ist gut. Aber sie sind nicht besser als andere Dinge, die man tun kann. Es ist wichtig, dass jede Erinnerung zählt und alle Wissensformen gehört werden.« (146)

Schreiben gegen Bezahlung oder vom Beruf der Schriftsteller:innen und den Zwängen des Literaturbetriebs  

Alle Autor:innen in diesem Band setzen sich mit den gesellschaftlichen Erwartungen an und Rahmenbedingungen für Künstler:innen und Schriftsteller:innen auseinander. Erwerbsarbeit und Elternschaft werden zum Teil als dem Schreiben entgegenstehend, zum Teil aber auch als notwendige und produktive Bedingung des Schreibens beschrieben. Einblicke gibt es auch in den Alltag derjenigen Autor:innen, die sich entschieden haben, vom Schreiben zu leben. Wie gehen sie damit um, wenn sie eine gewisse Sichtbarkeit erlangen und dann mit Anfragen, Angeboten, Lesungen, Auftragswerken usw. überhäuft werden und sich die Frage stellt, ob sie neben dem Schreiben und ihrer repräsentativen Funktion als Schriftsteller:in überhaupt noch einen Brotjob ausüben können?

Spannende Einblicke gibt der stilistisch durchkomponierte, auch rhythmisch gelungene Essay »Warum ich nicht mehr schreiben will« von Özlem Özgül Dündar, die beschreibt, welch eine Anstrengung es bedeutet, wenn neben der künstlerischen Arbeit immer auch die Person beeindrucken muss, sobald es darum geht, im Kulturbetrieb mit Lesungen, Publikationen und anderen Aufträgen Geld zu verdienen. Dündar schreibt über die Figur der »gatekeeper:in« und meint damit die immer wieder wechselnden Personen, die darüber entscheiden, ob die Autorin irgendwo lesen, publizieren, auftreten, wiederkommen, arbeiten darf.

»Wenn ich um die gunst einer person buhle, geht es um eine anerkennung der arbeit, aber auch um die frage nach dem geldverdienen, denn, kann ich die gunst gewinnen, kann ich geld verdienen, kann ich mich finanziell über wasser halten, kann ich meine brötchen selbst bezahlen. Jede gatekeeper:in ist eine hürde, mit der man umgehen, um die man herum kommen muss, um seine arbeit weiterhin machen zu können, ohne in finanzielle not zu geraten. Der gedanke, ob das schreiben all das wert ist, geht mir von zeit zu zeit durch den kopf und der gedanke, dass ich so eigentlich nicht schreiben, nicht arbeiten will.« (52)

Weiter führt sie aus, dass es – anders als in den meisten anderen Berufen – in künstlerischen Berufen darum geht, eine Vielzahl von Menschen immer wieder von der eigenen Arbeit überzeugen zu müssen und dafür auch mit der eigenen Person werben zu müssen.

Während hier angeklingt, dass es sich keineswegs nur um ein Ansammeln von Preisen, Geld und Anerkennung handelt, wenn ein:e Autor:in in der Lage ist, sich durch ihre Kunst zu finanzieren, so wird auch in den  Texten weiterer Autor:innen nicht nur die gesellschaftliche Position, die dem:der berufsausübenden Schriftsteller:in zugeschrieben wird thematisiert, sondern auch die Schwierigkeit, sich als selbstständige:r Künstler:in zu behaupten. So werden in einigen Texten die Gespräche simuliert, die auf die Frage nach dem Beruf folgen und fast zwangsläufig immer darauf hinauslaufen, dass hinterfragt wird, dass sich damit Geld verdienen lässt.

Isabelle Lehn bringt ihre Art des Broterwerbs auf folgende Formel: »Ich mache alles für Geld, was mit Schreiben zu tun hat« (137). Darüber hinaus hat sie sich die strenge Regel auferlegt, zu allem Nein zu sagen, wofür es kein Geld gibt. Durch die Gegenüberstellung von solchen Positionen, die das Schreiben als ökonomische Tätigkeit verstehen und anderen, die versuchen die Kunst vor der Reduktion auf einen Tauschwert zu bewahren, stellt der Band ein schönes Gleichgewicht her und es zeigt sich durch das Nebeneinander der unterschiedlichen Ansichten, die jede für sich stehen, wie leicht sich jede im Band versammelte Position auch wieder dekonstruieren ließe. So wird das ganze Setting des Verhältnisses zwischen Brotjobs und Literatur als diskursives Konstrukt sicht- und greifbar.

Sabine Scho macht deutlich, wie schwierig es auch für etablierte Autor:innen ist und bleibt. Die Perspektive, die Scho einnimmt, geht über ihre persönliche Geschichte hinaus, sie hinterfragt – und das lässt sich in diesem Buch als Parallele zu all denjenigen Autor:innen lesen, die von vornherein ihr Schreiben nicht dem ökonomischen Druck aussetzen wollen – das gesamte System des Kunstbetriebs. Ihre These ist, dass die Institutionen und die Vermittler:innen von Kunst gut daran verdienen, dass aber die Künstler:innen selbst, die für das System eigentlich die Grundlage darstellen, kaum anerkannt und finanziell gewürdigt werden. 

Ein gelungener Band, der vielfältige Möglichkeiten aufzeigt, als Autor:in zu leben – ob vom Schreiben oder mit dem Schreiben, ob trotz des Brotjobs oder ausdrücklich nur auf der Basis dieser anderweitigen finanziellen Sicherheit, ob mit oder ohne Kinder. Schreiben scheint in allen möglichen Konstellationen zu gelingen, bleibt aber durch den prekären Status der Künstler:innen immer auch eine äußerst fragile Tätigkeit.

Alle Zitate stammen aus: Brotjobs & Literatur, herausgegeben von Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel, Berlin 2021: Verbrecherverlag.