von Diana Hitzke
Torrey Peters’ Roman „Detransition, Baby“ ist eine unbedingte Leseempfehlung aus mehreren Gründen: Der Plot um die Elternschaft, die sich drei Personen teilen, ist klug inszeniert, lustig und auf mehreren Ebenen erhellend. Die Lebenswelt von trans Personen, in die Peters ihr Publikum einführt, ist in der Gegenwartsliteratur bisher kaum auf diese Art und Weise präsent – unprätentiös, aufregend, multiperspektivisch. Mit Serien wie Transparent ist das Thema bereits bei einem breiteren Publikum angekommen; Peters konnte, wie sie selbst sagt, für ihre Novellas bis vor ein paar Jahren jedenfalls noch keinen Verlag finden und stellte ihre Arbeiten kostenlos im Internet zur Verfügung. Peters schreibt gut, erzählt durchdacht, langweilt auf keiner einzigen Seite und lädt in jedem Kapitel zu neuen kritischen Perspektiven auf gesellschaftliche Narrative und deren Auswirkungen auf Marginalisierte ein.
Der Plot allein ist durchweg überzeugend: Drei Personen beschließen, zusammen ein Kind zu bekommen. Alle drei haben ihre eigene Geschichte, die auch eine Geschichte des Scheiterns ist. Katrina ist geschieden, sie ist die Chefin von Ames, mit dem sie eine Affäre hat. Ames – früher Amy – hat sich zur Detransition entschieden, d.h. seine Transition zur Frau, als die sie zuvor lebte, rückgängig zu machen. Katrina hat ihn als Mann kennengelernt und erfährt von seiner Vergangenheit erst, als sie ganz unerwartet schwanger wird. Für beide ist die Elternschaft eine Herausforderung – die Vaterschaft für Ames, die Mutterschaft für Katrina. Reese dagegen, die Ex-Freundin von Amy, wollte immer schon Mutter werden. Ames beschließt daraufhin, Reese und Katrina vorzuschlagen, das Kind zu dritt zu bekommen und gemeinsam großzuziehen.
Der Weg der drei Personen, diesen Schritt ernsthaft zu erwägen und sich darauf einzulassen – für jede:n eine andere Herausforderung – wird von Peters mit Rückblenden auf die Vergangenheit, auf frühere Beziehungen und Affären und mit einem guten Blick für Vergleiche und Erklärungen beschrieben, die sich aus der Sicht der drei ganz unterschiedlichen Figuren immer wieder als nachvollziehbar aus der einen und als (völlig) unangemessen aus der anderen erweisen. Die Annäherung aneinander findet auf diese Art und Weise in Auseinandersetzung mit den Grenzen der Andere:n statt.
Dem Buch gelingt es ganz nebenbei auch, privilegierten Leser:innen den Spiegel vorzuhalten: Es gibt Szenen, in denen sich die Frage aufdrängt, warum Reese sich bestimmte Dinge überhaupt antut, wenn sie doch so schmerzhaft für sie sind. Dabei wird klar, dass es kaum Alternativen für sie gibt. Jede Erfahrung, jedes Lebensereignis ist derart stark von gesellschaftlichen Erwartungen und Normvorstellungen geprägt, die Reese immer wieder ausschließen, sodass sie gezwungen ist, sich stets aufs Neue Begegnungen und Erfahrungen auszusetzen, in denen sie nicht gesehen, verletzt und schlecht behandelt wird. Die Alternative wäre der Rückzug aus der Gesellschaft. Die Beerdigungen von Freund:innen, zu denen Reese überdurchschnittlich häufig geht, sind ein Zeichen dafür, wie schwierig das Leben als trans Person ist. Wie stark die Möglichkeiten, Sexualität zu leben, eine Partnerschaft einzugehen, eine Familie zu gründen, aber auch einfach nur Shoppen zu gehen oder auszugehen, für trans Personen limitiert sind, wie gefährlich und tatsächlich auch lebensbedrohend bereits alltägliche Herausforderungen sein können, stellt Peters eindrücklich, aber ohne großes Pathos dar.
Die Story bietet sich an als Projektionsfläche für Menschen, die sie sich ihrerseits nicht gesehen fühlen oder die den gesellschaftlich akzeptierten Narrativen nicht entsprechen können oder wollen. Dabei macht eine Figur wie Reese nicht nur als trans Person, sondern auch als jemand ohne höhere Bildung und gutes Einkommen, die sich mit Jobs wie Kellnern oder Kinderbetreuung über Wasser halten muss, sichtbar, welch großen Unterschied es macht, ob ein Auflehnen gegen gesellschaftliche Narrative aus einer privilegierten oder einer marginalisierten Position heraus geschieht. Reese lässt sich nicht davon abhalten, immer wieder Wege für sich zu finden. Amy wiederum hat sich nach dem Ende ihrer Beziehung mit Reese für den Prozess der Detransition entschieden, als Ames lebt er nun den Widerspruch zwischen seiner Nicht-Identifikation als Mann und seiner körperlichen Erscheinung. Auf seiner Arbeit und auch von Katrina wird er als Mann gelesen – durch die Schwangerschaft von Katrina gewinnt seine Vorgeschichte aber auch öffentlich wieder größere Bedeutung. Seine biologische Vaterschaft stellt ihn nun vor die Herausforderung, nicht nur als Mann wahrgenommen zu werden, sondern sich auch mit der Vaterrolle auseinandersetzen zu müssen. Das Leben als Familie zu dritt – zusammen mit den beiden Müttern Katrina und Reese – erscheint in diesem Kontext auch als eine Möglichkeit, die stillschweigenden Projektionen der Gesellschaft durch eine Störung zu irritieren und Gespräche darüber zu initiieren.
Detransition, Baby ist auch eine Geschichte über das Erwachsenwerden, so wird Reeses Situation zu Beginn des Romans als das Sex-and-the-City-Problem beschrieben:
When a woman begins to notice herself aging, the prospect of making some meaning out of her life grows more and more urgent. A need to save herself, or be saved, as the joys of beauty and youth repeat themselves to lesser and lesser effect. But in finding meaning, Reese would argue – despite the changes wrought by feminism – women still found themselves with only four major options to save themselves, options represented by the story arcs of the four female characters of Sex and the City. Find a partner, and be a Charlotte. Have a career, and be Samantha. Have a baby, and be Miranda. Or finally, express oneself in art or writing, and be a Carrie.
Torrey Peters: Detransition, Baby. New York 2021, S. 7.
Mit der Erwartung an einen New-York-Roman geht Peters ironisch um. So wohnt Katrina in einem Loft, das dem aus der Serie Friends gleicht. Die Prägung durch die Popkultur ist selbstverständlich: New York wird als “television fantasy“ (262) entlarvt, Familie wird nicht nur analysiert, sondern auch als Design-Problem betrachtet und einige Probleme lassen sich, bei allem Widerstand gegen das System, letztendlich am besten durch Shopping lösen. Die Lebenswelt des Spätkapitalismus – die Beschreibung der doTERRA-Parties erinnert an Jia Tolentinos Essays in Trick Mirror: Reflexions on Self Delusion (New York, 2019) – und die gesellschaftlichen Narrative über das Erwachsenwerden, die prägenden Vorstellungen davon, was akzeptable und etablierte Lebensformen sind, bilden letztlich die Diskurse, mit denen sich sowohl die Etablierten als auch die Marginalisierten auseinandersetzen, wenn sie Entscheidungen darüber treffen, wie sie leben, arbeiten und wohnen möchten, ob und wie sie eine Familie gründen.
Der Vergleich von Peters’ Debüt mit dem Genre des bürgerlichen Familienromans drängt sich auf – verbietet sich aber zugleich, da er den Wunsch markiert, queere Lebenswelten, die hier sichtbar werden, in bürgerlich geprägte normative Genrevorstellungen zu übersetzen. Peters bringt diesen Vergleich aber selbst (in ihrem Interview mit Electric Literature); sie vergleicht – auch innerhalb des Romans in der Anlage der Figur Katrina – trans Frauen mit geschiedenen cis-Frauen. So lässt sich ihr Roman auf popkultureller Ebene als Reflexion über das Sex-and-the-City-Problem aus trans Perspektive verstehen und auf literarischer Ebene als zeitgenössischer, queerer Familienroman lesen.
Torrey Peters: Detransition, Baby. New York 2021.
Die deutsche Übersetzung von Frank Sievers und Nicole Seifert ist vor kurzem im Ullstein Verlag erschienen.
Sehr gute Interviews mit Torrey Peters gibt es bei Electric Literature und beim Missy Magazine: